„Auf dass es vorbei geht!“

„Ich will mein altes Leben zurück!“
„Hoffentlich ist bald alles wieder normal!“ so sage ich … so höre ich … immer wieder … aber immer weniger … kaum noch eigentlich!

Warum?
Weil wir anfangen zu verstehen, dass diese Zeit jetzt länger dauern wird? Ein Jahr? Eineinhalb? Vielleicht?

Vielleicht aber – für mich ganz bestimmt – gibt es noch einen anderen Grund:
Ich – und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – ich möchte nicht einfach wieder zurück.
Nicht einfach wieder zurück in mein altes Leben
Nicht zurück in das, was wir Anfang März noch „normal“ nannten.
Nicht wirklich! Nicht mehr!

Nicht mehr von diesem Leben, in dem ich mit jeder Bluse, mit jedem Jacket, mit jeder Jacke Schuld auf meine Schultern lege;
Schuld an unmenschlicher Arbeit, unmenschlichem Leben: an Elend, Not und Verzweiflung
Schuld an Kindheiten, in denen nicht gespielt wird – die Zukunft aber längst verspielt ist! Nicht mehr!

Nicht mehr von diesem Leben, in dem ich Eier kaufe und geschredderte Küken in Kauf nehme, in dem Hühnerbrustfilet, Rindersteak und Brathähnchen – ein Leben, ein ganzes Tierleben!– für nicht einmal zwei Euro pro 100 Gramm verkauft … und gekauft werden.
Gekauft werden müssen von Vielen,
Von so Vielen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, acht Stunden lang ihr Bestes geben,
wahrscheinlich in einem Beruf, in den wir heute als „systemrelevant“ bezeichnen:

Liebe Altenpfleger, Krankenschwestern Müllmänner, Putzfrauen und  Kassiererinnen,
wir brauchen Sie so sehr!
Bezahlen Sie so schlecht
und achten Sie so oft so wenig! Nicht mehr!

Nicht mehr von diesem Leben, in dem wir die Welt missachten, die Temperaturen steigen, Regen ausbleibt, das Polareis schmilzt… „ach naja, das wollen wir doch erst mal sehen!
Das ist doch noch weit weg!“  –  „Nein, ist es nicht! Nicht mehr!“

Nicht mehr davon.
Nicht mehr von diesem Leben, das so viele grausame Seiten hat,
und sie kaschiert – würdelos –  unter dem Wort „normal“.
„Nein!
Ich möchte nicht einfach wieder zurück! Nicht mehr!“ sage ich …

… und mein Bruder am Telefon hört zu und schweigt.
Ich mache viele Worte; er keine… zuerst… und dann doch: zwei Sätze:
„Ja“, sagt er, „unsere Lebensweise hat sich überlebt. Ihre Zeit ist abgelaufen!“
Kurz. Kerzengerade. Aufrichtig.
Kein „Wenn“.  Kein „Aber“. Kein „Falls“. Kein „Vielleicht“

Keine Relativierung.
Und auch ich relativiere nicht. –  Heute nicht.
Heute ergänze ich nur: „Unsere Lebensweise hat sich überlebt. Ihre Zeit ist abgelaufen.
Lasst uns etwas Neues bauen!“

Jetzt – gerade jetzt – wo es das alte Leben, das alte „normal“ nicht mehr gibt,
lasst uns etwas Neues bauen:
Wahre Menschlichkeit,
Ein wahres Stück Himmel auf Erden,
Schon jetzt!“ sage ich …

… und vielleicht trete ich Ihnen damit auf die Füße, verärgere Sie, ganz ohne, dass ich es will. Oder vielleicht belächeln Sie mich auch: „Ja, ja, die junge Pfarrerin, jetzt ist ihr das Corona-Virus endgültig zu Kopf gestiegen: Lasst uns etwas Neues bauen, von wegen!
Wie soll das denn gehen? Wie soll es aussehen? Wer soll das bezahlen?“
Gute Fragen!
Und ich gestehe gleich, ich habe keine fertigen Antworten!

Und doch: Vielleicht schauen wir uns trotzdem einmal gemeinsam um.
Und wir sehen:
Schüler, die nicht in der Schule sind.
Restaurants, in denen keiner isst.
Dafür Menschen, die mit Schutzmaske einkaufen und 1,5 Meter Sicherheitsabstand halten.

So sieht es aus und mal ehrlich:
Wer hätte das gedacht, Anfang März? Wer hätte es sich jemals vorstellen können?
Keiner!  …  Ich zumindest nicht.
Und doch ist es passiert, ist es Realität, Alltag schon fast.
Verrückt –  beängstigend, traurig, schmerzhaft–,
was es alles gibt, was alles geht.

Und gerade deshalb:
Lasst und etwas Neues bauen; etwas Gutes! Das geht genauso. Wir können es.

Und wir wären, wir waren, wir sind dabei nicht allein!
Gott, der Vater, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde,
der, der uns eingesetzt hat, zu Hütern dieser Welt,
er ist bei uns, begeistert
und der Glaube, das Vertrauen auf auf ihn, versetzt Berge.

Und deshalb:
Lasst uns etwas Neues bauen; etwas Gutes: Wahre Menschlichkeit.
Ein wahres Stück Himmel auf Erden.
Versetzen wir Berge: schon jetzt, bevor es keine Berge mehr gibt,
weil es keine Welt mehr gibt, auf der sie stehen!
Bauen wir etwas Neues und bleiben Sie behütet.

Ihre Pfarrerin Eva Mundinar.