Auf einen Tee mit mir

„Heute mach` ich mir eine Freude und besuche mich selbst. Hoffentlich bin ich Daheim!“ sagt Karl Valentin …

… und ich denke nur: „Genial! Mal ehrlich, das ist doch eine geniale Idee. Und die Chancen stehen wirklich gut: Im Moment bin ich … irgendwie … die allermeiste Zeit Daheim.“ Perfekt! – Also los: Vorsichtig klopfe ich an meine Küchentür und stecke den Kopf ins Zimmer.

„Hallo Eva!“ sage ich „Ich wollte nur mal schauen, wie es  dir so geht!“ „Ah, Hallo!“ sage ich „Wie schön, dass du da bist, ich hab mich nämlich gerade schon ein bisschen einsam gefühlt!“ „Na…“ sage ich, „da komme ich ja genau richtig“
„Auf jeden Fall! Komm doch rein!“ sage ich.
Und das tue ich – ist ja klar.
„Setz dich! Magst du einen Tee?“
„Ja, immer!“ sage ich und lasse mich auf einen der Küchenstühle sinken.
„Mit Zucker?“
„Ne“, sage ich, „nie!“
„Oh ja stimmt,“ antworte ich. „Das werd ich mir nie merken, wahrscheinlich, weil ich immer Zucker in meinen Tee tue.“… und das tue ich auch jetzt; zwei Teelöffel voll, man gönnt sich ja sonst nix…

Und so sitzen wir da, – ich mit mir. Und wir lächeln uns an und beginnen plaudern. Über das Wetter (so gut, dass der Himmel wieder blau ist). Über Corona (natürlich, aber nur ganz kurz). Über Filme (zum Glück, gibt es die ARD-Mediathek). Über Lieblingsschauspieler. Über Träume und Ängste. Über dies und das. Über Gott und die Welt… Und irgendwann sind wir, – wahrscheinlich, weil ich mich schon so lange kenne,- im Land von „Weißt-Du-noch“ angelangt:

„Weißt du noch“ sage ich und schaue in meine Teetasse „den Tee von Opa?“ „Oh ja!“, sage ich und schaudere leicht „was war da noch mal drin?“ „Ein Beutel Schwarztee, ein Beutel Früchte-Tee und ein Beutel Pfefferminz-Tee. Alles zusammen in einer Kanne, ungefähr 100 Stunden gezogen.“ „Jaaaa …“ stöhne ich, „einen besseren Grund, um Kaffee zu trinken, hat es nie gegeben.“ Wir lachen und ich denke an Opa … an Opa der so erzählen konnte, dass sich alle, alle um ihn herum vor Lachen kugelten, während er selbst schweigend, aber dafür umso schelmischer grinste… Ja, genauso war das …

„Der andere Opa hat gar nicht so viel erzählt“ erinnere ich mich „aber in seinem Haus gab es eine Schaukel. Im Keller, da war ein langer Gang und am einen Ende des Ganges hing die Schaukel.“ „Ja“, ergänze ich „und am anderen Ende hingen Ringe. An denen konnte ich kopfüber schaukeln, während ich mich mit Opa (der angemessen bewundernd dabeistand) unterhalten habe. Kaum zu glauben, aber wahr.“ „Also ich glaub dir das schon.“ sage ich „du redest doch bei allem“. Ich übergehe diese Bemerkung (was soll man auch sonst mir ihr anfangen?) und erzähle weiter: „Einmal bin ich da so gehangen und habe erzählt und dabei ist mir (beim Buchstaben „pf“) mein Wackelzahn im hohen Bogen herausgefallen.“ „Beeindruckend“ sage ich. „Ja, ich glaube, das fand Oma auch, denn sie hat mir 5 Mark gegeben – zur Belohnung.“

„5 Mark!“ sage ich „Weißt du das noch? 5-Mark-Stücke. Nicht 5-Euro-Scheine. Verrückt, oder? „Ja.“ sage ich „Und manchmal sind mein Bruder und ich mit Oma und Opa am Tisch gesessen und wir durften Markstücke unter weises Papier legen und mit dem Bleistift darüber schraffieren.“ „Genau, dann hatte man Spielgeld.“ erinnere ich mich. „Aber, ich glaube, das macht man heute nicht mehr.“

„Nein.“ sage ich, „das ist wie Anzieh-puppen, die gibts heute auch nicht mehr. Aber damals … Große Papierbögen waren das und zuerst musste man die Puppe ausschneiden und dann ihre Kleider. Und wenn man fertig war, konnte man die Kleider mit so kleinen Papierlaschen anheften, also der Puppe anziehen.  Das war toll.“ „Und“ falle ich mir ins Wort „Ich hatte sogar eine Anziehpuppe mit Haaren. Mit langen schwarzen Haaren. Die hab ich geliebt. Sie hat in einem Schuhkarton gewohnt – mit all ihren Kleidern.“

„Apropos: Schuhkarton“ sage ich „erinnerst du dich, wie Papa einmal einen Maikäfer in einem Schuhkarton mitgebracht hat? Ein Kollege von ihm hatte den (also den Maikäfer, nicht den Schuhkarton) in seinem Garten gefunden – und dann wurde er von Kollege zu Kollege weitergegeben, damit alle Kinder zumindest einmal einen echten Maikäfer sehen können.“

„Oh ja.“ sage ich „aber ehrlich gesagt, fand ich Marienkäfer hübscher.“
„Und Schmetterlinge!“ sage ich „Weißt du noch, die Fliederbüsche im Garten. Die waren voll, übervoll mit Schmetterlingen….“
„Ja, der Garten! Was war das für ein Garten!“….
„Und das Klettergerüst! Was bin ich darauf geklettert.“…
„Und was haben ich gespielt…. Tage lang…. Drinnen und Draußen… Völkerball… Verstecken…
Wir sind Rad gefahren…. Gewandert …. in den Zoo gegangen … ins Kino … es gab eine Zeit, da war ich mehr im Kino als sonst wo …
Geburtstagsfeiern… Feten …. Lagerfeuer …. durchredete Nächte… Konzerte…Theater … Bücher, die so gut waren, dass man sich einfach nicht weglegen konnte … Schneemänner (und Frauen!)… Schlittenfahren … ins Schwimmbad gehen … alte Freunde treffen … neue Freunde finden … Lieblingsessen essen können …. gemeinsam Tee trinken …. ins Plaudern kommen; „weißt du noch?“…

… So sitzen wir da – ich mit mir. Und mit einem Mal durchströmt mich helle Freude: Durch und durch, mit jeder Faser meiner Selbst merke ich: „Was habe ich für ein reiches, für ein buntes Leben. Wie bin ich beschenkt von Gott.

Von Gott, der mir diese Leben gibt – und zwar nicht, weil ich es verdient hätte, sondern einfach nur weil er mich auf dieser Welt sehen will; sehen will, wie ich wachse. Was für ein Geschenk! Wie bin ich gesegnet – trotz allem und in allem – wie bin ich gesegnet!

Und nicht nur ich. Sondern Sie auch, ganz, ganz bestimmt! Probieren Sie es ruhig mal aus: Machen Sie sich eine Freude, besuchen Sie sich selbst. Wir sind doch im Moment ohnehin alle Daheim. Nützen Sie es – so ein Weißt-Du-Noch-Tee ist total schnell gekocht.

Ich wünsche Ihnen Lebensfreude. Durch und durch, mit jeder Faser, Lebensfreude,

Ihre Pfarrerin Eva Mundinar