Der Wurst entlang I

Luther und die Wurst

Ich sitze vor meinem PC und zerbreche mir den Kopf darüber, was der Titel „Immer der Wurst entlang“ unserer neuen Reihe mit Bibel und Theologie zu tun haben könnte… Ich muss mir eingestehen: Ich bin total blank. Auf was habe ich mich da nur wieder eingelassen…

In all meiner Verzweiflung greife ich zum letzten Mittel und tippe die Worte „Wurst und Bibel“ in eine allseits bekannte Suchmaschine ein. Als die Ergebnisse meiner Suchanfrage auf dem Bildschirm erscheinen bin ich einigermaßen überrascht, denn die ersten vier Überschriften lauten wie folgt:

– Wurst-Bibel ehrt Reformator.
– Wurst – Bibel & Bibelkunde.
– Luther ist Wurst.
– Deftiges Glaubenssymbol: Die Luther-Wurst

A la Sherlock Holmes kombiniere ich, dass wohl irgendein Zusammenhang zwischen Martin Luther und einer bestimmten Wurst bestehen muss, der mir bislang verborgen geblieben ist. Ich klicke auf den ersten Link meiner Liste und lande auf der Seite einer Fleischverarbeitungsfirma, die anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums Salami-Wurst-Bibeln hergestellt haben. Da hat wohl jemand den Ausspruch des Johannesevangeliums „Das Wort ward Fleisch“ zu wörtlich genommen und kurzerhand in „Das Wort ward Wurst“ uminterpretiert.

Ich erinnere mich daran, dass es rund um das Reformationsjubiläumsjahr 2017 einige Kuriositäten in Bezug auf Martin Luther zu erwerben gab. Allseits bekannt ist die Playmobil-Luther-Figur. Es gab damals aber auch eine Menge anderer Luther-Fan-Artikel zu erwerben, unter anderem auch Luther-Quitescheenten, bei denen ein unmittelbarer Bezug zur Reformation nicht ohne weiteres zu erkennen ist.

Allerdings verstehe ich immer noch nicht, wie Wurst und Luther zusammenhängen. Also recherchiere ich weiter. Der nächste Link führt mich zu einem Artikel des Sonntagsblatts. Dort erfahre ich, dass es im Schwäbischen eine leicht geräucherte Brühwurst gibt, die „Lutherische“ genannt wird. Diese ist zwar erst im 30-jährigen Krieg entstanden und erst nachträglich nach dem Reformator benannt worden, trotzdem hat Luther bereits eine gute Wurst zu schätzen gewusst. In einer seiner Tischreden soll er sogar ein Wurstgleichnis erzählt haben.

Dieses Gleichnis geht wie folgt: „Es ist schwer, daß ein Mensch soll glauben, daß ihm Gott gnädig sei. Christus bietet sich uns an mit der Vergebung der Sünden, und wir fliehen vor seinem Angesicht. So wie es mir, als ich noch ein Junge war, in meiner Heimat passierte, da wir (vor den Häusern) sangen, um Würste einzusammeln. Dort ruft ein Mann aus Spaß: Was macht ihr, ihr Buben? Und zugleich läuft er mit zwei Würsten auf uns zu. Da machte ich mich mit meinem Freund aus dem Staube und laufe davon vor einem, der sein Geschenk bringt. Geradeso geht es uns mit Gott. Er hat uns Christus gegeben mit allen seinen Gaben, und dennoch fliehen wir vor ihm und glauben, daß er unser Richter sei“ (zitiert nach dem Artikel des Sonntagsblatts).

In diesem „Wurstgleichnis“ entdecke ich eine Grundüberzeugung lutherischer Theologie. Luther war nämlich aufgrund seines Lebenswegs und seiner Erfahrungen im Kloster davon überzeugt, dass er sich Gottes Zuneigung nicht durch Fasten, Beten oder Arbeiten verdienen könne. Gott kommt uns in Jesus Christus entgegen und will uns beschenken. Nur – so Luthers Erfahrung – tendieren wir Menschen dazu, vor dem schenkenden Christus davon zu laufen.

In der Erkenntnis Martin Luthers schwingt für mich das Gleichnis vom gütigen Vater mit. Der Vater hat zwei Söhne. Eines Tages kommt sein jüngerer Sohn und bittet seinen Vater, ihm das Erbe auszuzahlen, damit er von Zuhause ausziehen kann. Der Vater geht auf die Bitte seines Sohnes ein und zahlt ihm das aus, was ihm zusteht. Der bricht auf, zieht in ein fernes Land und lebt dort sorglos in Saus und Braus. Aber eines Tages geht das Geld zur Neige. Zudem bricht eine große Hungersnot im Land aus. In seiner Not wendet sich der jüngere Sohn an einen Bauern, der ihm erlaubt, die Schweine auf den Feldern zu hüten. Nach einiger Zeit erinnert er sich daran, dass es selbst den Tagelöhnern seines Vaters besser ergeht als ihm. Also nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und macht sich auf den Rückweg zu seinem Vater. In seinem Herzen hat er sich vorgenommen, seinen Vater darum zu bitten, ihn als Tagelöhner bei ihm aufzunehmen. Aber sein Vater reagiert so ganz anders als er es erwartet hat. Der Vater rennt nämlich seinem Sohn schon von Weitem entgegen. Er nimmt ihn in die Arme und nimmt ihn wieder als vollwertiges Mitglied bei sich auf. Keine Vorhaltungen, kein „zuvor musst du noch…“, sondern vollumfängliche Annahme.

Im Verhalten des Vaters erkenne ich etwas über das Wesen Gottes. Gott nimmt mich so an wie ich bin. Ich muss, ja ich kann, gar nichts dazu beitragen. Ich kann mir die Annahme Gottes und seine Vergebung nicht verdienen. Sie wird mir geschenkt, einfach so. Das ist das große Geheimnis, das Luther vor vielen Jahren für sich entdeckt hat. Das ist das große Geheimnis, das ich heute immer noch entdecken kann. Und wenn eine Wurst dazu beiträgt, dass ich mich an diese Erkenntnis erinnere, dann hey, immer der Wurst entlang.

Ihr Pfarrer Johannes Körner