Tagebuch eines Pfarrers #3

Liebes Tagebuch,

Anfang dieser Woche war es wieder so weit. Ich sitze an meinem Schreibtisch und arbeite so vor mich hin: Der kommende Gottesdienst will vorbereitet werden und außerdem steht der nächste Konfi-Samstag an, der auch noch geplant werden muss. Da klingelt das Telefon und die Pfarramtssekretärin teilt mir mit, dass eine Beerdigung „reingekommen“ ist. „Urnenbeisetzung oder Erdbestattung?“, frage ich. Und während ich noch hoffe, dass Sie „Urnenbeisetzung“ sagt, dann hätte ich nämlich genügend Zeit, um das Beerdigungsgespräch zu führend und um die Traueransprache samt drum herum vorzubereiten, tönt mir aus dem Hörer entgegen: „Es handelt sich um eine Erdbestattung!“

Das hatte ich befürchtet! „Wann?“, frage ich nach. „Am Donnerstag um 11:30 Uhr auf dem Hauptfriedhof“, lautet die Antwort. „Aha, also in zwei Tagen…“, denke ich. Mist! Jetzt hatte ich mir so einen schönen Plan zurechtgelegt, wie ich meine Aufgaben am besten abarbeiten kann. Den kann ich jetzt in die Tonne treten.

Ich überlege mir, was ich alles zu tun habe: Als erstes muss ich den Kontakt mit den Angehörigen herstellen, um zu signalisieren, dass wir als Kirchengemeinde da sind und uns kümmern. Außerdem muss ich gleich einen Termin für’s Beerdigungsgespräch vereinbaren, am besten sofort heute Nachmittag. Ich denke eineinhalb Stunden sollten dafür reichen. Wenn das so hinhaut und ich auf der Rückfahrt nicht noch im Stadtverkehr stecken bleibe, dann schaffe ich es vielleicht noch die Traueransprache zu schreiben. Das wäre super, denn so unmittelbar nach dem Gespräch sind meine Erinnerungen noch ganz frisch. Ach ja! Das, was ich eigentlich heute erledigen wollte, muss ich wohl auf einen anderen Tag verschieben.

Mittlerweile werfen Beerdigungen mich nicht mehr vollkommen aus der Bahn. Ich habe einen professionellen Umgang damit gefunden. Aber das war nicht immer so. Während meines Vikariats hatte ich großen Respekt vor Beerdigungen. Ich hatte davor Angst, in eine Situation zu kommen, der ich nicht gewachsen sein könnte. Ich machte mir darüber Sorgen, dass die möglicherweise tragischen Umstände des Todes und der Verlust der Hinterbliebenen mich überfordern würden.

Bei meiner ersten Beerdigung habe ich meine Befürchtungen ein Stückchen weit bestätigt gefunden. Ich kann mich noch gut an die Bestattung erinnern. Eigentlich ein dankbarer Fall. Denn die verstorbene Person ist im hohen Alter frei von Krankheit und ohne körperliches Leiden eingeschlafen. Aber auch wenn es sich nicht um einen von außen betrachtet „tragischen“ Todesfall handelte, betrauerten natürlich die Angehörigen den Verlust eines lieben Menschen. In der Aussegnungshalle war diese Trauer mit Händen zu greifen. Die Emotionen der Menschen haben mich vorne vor der versammelten Trauergemeinde mit voller Wucht (etwas unvorbereitet) getroffen, so dass auf einmal ich mit meinen Emotionen zu kämpfen hatte. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn ich vor versammelter Mannschaft in Tränen ausgebrochen wäre. Im Nachhinein musste ich mir überlegen, wie ich mit meinen Emotionen umgehen kann. Denn für die Trauergemeinde ist es in diesem Moment wichtig, dass ich den Prozess des Abschiednehmens so gut wie möglich leite und begleite.

Inzwischen habe ich einen guten Weg gefunden, wie ich mit den Emotionen der Trauernden umgehen kann. Zunächst einmal habe ich mir abgewöhnt, die Sterbefälle in „tragische“ und „untragische“ zu unterteilen. Vielmehr führe ich mir jedes Mal vor Augen, dass irgendjemand einen lieben Menschen verloren hat und diesen Verlust betrauern möchte. Das hilft mir dabei, die Emotionen der Menschen stehen zu lassen.

Seitdem habe ich viel weniger Angst, dass eine Beerdigung mich überfordern könnte. Ich kann in der Zwischenzeit sogar sagen, dass ich gerne beerdige. Denn für mich handelt es sich dabei nunmehr um die „ehrlichste“ Kasualie, weil sie auf das Wesentlich reduziert ist. Es geht darum, zu trauern und Abschied zu nehmen, um nicht mehr aber auch um nicht weniger.

Nach wie vor ist es so, dass vor allem Erdbestattungen meinen Arbeitsalltag komplett durcheinander bringen. Aber ich habe festgestellt, dass es sich um einen ganz wichtigen Dienst handelt. Denn die Angehörigen, denen ich in dieser existentiellen Krisensituation begegne, sind dankbar dafür, dass ich da bin, dass ich ihnen zuhöre, wenn sie von dem oder der Verstorbenen oder von sich selbst erzählen und dass ich ihnen auf dem Weg des Abschiednehmens und des wieder ins Leben Zurückkehrens zur Seite stehe.

Außerdem habe ich in diesem Moment die Möglichkeit eine zentrale Hoffnung meines Glaubens hochzuhalten. Ich glaube nämlich, dass der Tod nicht das letzte Wort über mein Leben spricht. Ich hoffe vielmehr darauf, dass ich durch den Tod hindurch in die Gemeinschaft mit Gott geführt werde. Diese Hoffnung bewirkt bei mir, dass ich im Angesicht des Todes trauern darf. Aber ich brauche nicht zu verzweifeln, weil ich mich in Gottes Hand geborgen weiß.

Diese Hoffnung kann den Angehörigen dabei helfen, im Angesicht von Sarg und Grab nicht den Mut zu verlieren, sondern voller Hoffnung und im Gedenken an die verstorbene Person weiterzuleben.
Das wollte ich dir heute erzählen.

Dein Johannes
Montag, der 14. September 2020