Tagebuch eines Pfarrers #4
Liebes Tagebuch,
Ich liebe die Adventszeit. Ich freue mich über meinen Adventskalender – in diesem Jahr habe ich übrigens einen ganz tollen Retro-Süßigkeiten-Adventskalender geschenkt bekommen. Da sind Süßigkeiten drin, die ich noch aus meinen Kindheits-Freibad-Tagen kenne, die mir in letzter Zeit aber eher selten begegnet sind. Jeden Morgen darf ich ein Türchen öffnen und mich darüber freuen, dass Weihnachten wieder einen Tag näher gekommen ist (und natürlich freue ich mich auch den Inhalt meines Adventskalenders – auch wenn Adventszeit ja eigentlich Fastenzeit ist 😊).
Ich liebe die Adventszeit, denn in dieser Zeit duftet alles immer ganz wundervoll nach Zimt, nach Nelken, nach frisch gebackenen Plätzen, nach Glühwein und nach Tannengrün (den Duft von Tannengrün mag ich besonders gern).
Ich liebe die Adventszeit, denn jede Stadt, jedes Dorf und jedes Haus putzt sich in diesen vier Wochen ganz fein raus. Überall werden Lichterketten aufgehängt, Weihnachtsbäume werden aufgestellt und Kerzen angezündet. Die vielen Lichter vermitteln ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit gerade in einer Zeit, die von der Dunkelheit draußen geprägt ist.
Ich liebe die Advents- und Weihnachtszeit, weil ich vor allem das Weihnachtsfest mit Familie verbinde. Weihnachten ist (fast) das einzige Mal im Jahr, in dem meine Geschwister und ich mit unseren Familien garantiert zusammenkommen. In diesem Jahr wird das wohl traurigerweise anders sein.
Ich liebe die Advents- und Weihnachtszeit, Zeit der Besinnung und Zeit des zur Ruhe Kommens. Es handelt sich um die einzige Zeit im Jahr, in der ich freiwillig gerne klassische Musik höre. Bachs Weihnachtsoratorium gehört in diesen Tagen für mich einfach dazu. Dazu gehören für mich auch die klassischen Kirchenlieder für diese Jahreszeit: „Oh Heiland reiß die Himmel auf“ oder „Es kommt ein Schiff geladen“.
Da komme ich jetzt zu einem wichtigen Punkt. Ich liebe die Advents- und Weihnachtszeit, aber ich bin nun einmal auch Pfarrer. Und das bedeutet, dass gerade die Advents- und Weihnachtszeit eine sehr arbeitsreiche Zeit ist. Die Adventsgottesdienste wollen schön gestaltet sein. Ich werde zu Weihnachtsfeiern eingeladen und es wird von mir nicht nur erwartet, dass ich daran teilnehme, sondern einen geistlichen Impuls mitliefere. In der Schule wird kurz vor den Ferien auch noch ein Weihnachtsgottesdienst gewünscht, am besten ökumenisch und unter Beteiligung des islamischen Religionslehrers (die mit Weihnachten eigentlich gar nichts anfangen können, „weil es nicht unser Fest ist“ – Aussage eines Schülers). Dann ist da noch der Heilige Abend… An diesem Tag wollen mehrere Gottesdienste von mir gehalten werden und die sollen eines nicht sein, gewöhnlich. Denn immerhin kommen an diesem Tag besonders viele Menschen in die Kirche, die ansonsten eher selten darin anzutreffen sind. Also muss ich mich ins Zeug legen, um ansprechende Gottesdienste mit tollen Krippenspielen oder sonstigen Beiträgen zu entwerfen, die alle gut geprobt und vorbereitet sein wollen. Das braucht Zeit, manchmal sogar viel Zeit.
Jetzt ist es ja nicht so, dass im Dezember auf einmal alles andere stillsteht und ich mich mit meiner ganzen Arbeitszeit nur um Advent und Weihnachten kümmern kann. Nein, Menschen sterben und müssen beerdigt werden. Manche entscheiden sich bewusst für eine Taufe in der Adventszeit. Der Schulunterricht will weiterhin vorbereitet werden. Der Verwaltungskram will bewältigt werden. Es finden Konferenzen statt und so weiter und so fort.
In all dem „Wahnsinn“ ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich mir wünsche: Ach wäre Weihnachten doch schon vorbei, dann hätte ich meine Ruhe. Eigentlich schade, oder? Denn immerhin liebe ich ja die Advents- und Weihnachtszeit. Und ich liebe sie nicht nur wegen dem Glühwein, den Lichtern, den Plätzchen und dem Tannengrün, sondern zuallererst deshalb, weil an Weihnachten das größte Wunder überhaupt geschieht. Ein Kind wird geboren – das an sich wäre schon wunderbar. Aber es ist nicht irgendein Kind. Nein, es ist der König der Könige, der in diese Welt kommt. Nur hat das in diesem Moment fast niemand mitbekommen. Es war kein Empfang mit militärischen Ehren, es wurde kein roter Teppich ausgerollt, es stand keine jubelnde Menge bereit, um diesem König eine angemessene Ankunft zu bereiten. Dieser König ist jenseits der politischen Machtzentren geboren worden. Lediglich ein paar Hirten sind Zeugen dieses Ereignisses geworden und später sind noch ein paar weit gereiste Gelehrte hinzugekommen, um diesem Kind die Ehre zu erweisen. Der Heilige Abend ist eigentlich eine völlig unspektakuläre Nacht gewesen – sieht man einmal vom Chor der Himmlischen Heerscharen ab, die den Hirten auf den Feldern erschienen sind. Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Kind einige Jahrzehnte später die Welt mit seiner Botschaft auf den Kopf gestellt hat.
Gott wird Mensch und kommt damit uns Menschen ganz nahe. Er begibt sich hinein in den Staub dieser Erde und in die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz. Deshalb liebe ich Weihnachten. Und deshalb bin ich gerade in der Weihnachtszeit mit Leib und Seele Pfarrer. Denn diese Botschaft, die Weihnachten zu einem echten Fest macht, die ist es wert, Jahr für Jahr zu Gehör gebracht zu werden.
In diesem Sinne wünsche ich auch dir, liebes Tagebuch, eine besinnliche Weihnachtszeit und verspreche dir auch, dich in den nächsten Tagen nicht mehr zu belästigen.
Dein Johannes, Würzburg, den 10.12.2020