Wundererzählung im Johannes-Evangelium
Zum Beispiel:
Die Heilung eines Gelähmten am Teich Betesda
Das fünfte Kapitel im Johannes-Evangelium beginnt mit einer Wunder-Erzählung über die Heilung eines Kranken am Teich Betesda.
Und ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber ich finde: Wunder darf man sich nicht entgehen lassen, also schauen wir uns die Geschichte einmal genauer an.
Bereit? – Na, dann los!
… Ach so, Moment! Noch ein kleiner Hinweis:
„Wunder“ heißen im Johannes-Evangelium nicht „Wunder“, sondern „Zeichen“.
Warum das so ist und was das bedeutet, das kriegen wir später, ok?
Gliederung:
Jetzt geht es erst mal um die Erzählung selbst und wir beginnen mit der einfachen Beobachtung:
Die Erzählung über dieses Wunder … äh … über dieses Zeichen erstreckt sich von Joh. 5, 1-18.
Im Anschluss daran finden wir einen wirklich langen Monolog Jesu (er reicht von Joh. 5, 19-47), in dem das Zeichen auslegt wird.
Diese Kombination aus Zeichen und anschließender monologischer Auslegung ist für das Johannes-Evangelium typisch. Sie werden es also bei späteren Zeichen-Erzählungen wiederfinden und dann wissen: „Ach, das war doch schon mal so!“ – Eines der besten Gefühle überhaupt, wenn Sie mich fragen …
Na ja, wie dem auch sei, fest steht jedenfalls, Joh. 5, 1-18 (also die Zeichen-Erzählung selbst) lässt sich inhaltlich ganz bequem wie folgt gliedern:
Joh. 5,1-4 stellt die Einleitung dar:
Der Lesende wird zunächst mit der Ausgangssituation vertraut gemacht (es wird also die Frage beantwortet: Was treibt eigentlich Jesus im Moment?).
Dann richtet sich der Blick in einem immer enger werdenden Fokus auf den Teich Betesda,
bevor erklärt wird, was es mit dem Wasser des Teiches genau auf sich hat.
Allerdings handelt sich bei dieser Erklärung (V3b-4) wahrscheinlich um eine spätere Einfügung. Sie wurde wohl im 2. Jh. vorgenommen, um die Aussage des Gelähmten in V7 verständlicher zu machen.
Im Anschluss an die Einleitung entfaltet sich die Erzählung in drei Episoden, die jeweils an verschiedenen Schauplätzen spielen:
1) Joh. 5, 5-9: Der Heilung selbst – am Teich Betesda.
2) Joh. 5, 10-13: Juden verhören den Geheilten – an einem unbestimmten Ort.
3) Joh. 5, 14-16: Jesus begegnet dem Geheilten – im Tempel von Jerusalem.
In Joh. 5, 17-19 schließlich findet der Übergang zum nachfolgenden Monolog statt. …
…. und damit steht die Gliederung und das an sich ist schon hilfreich!
Doch in unserem Fall ist es gleich doppelt hilfreich, denn die Gliederung zeigt uns – und zwar luxuriös auf einen Blick: Der Text besteht aus verschiedenen Gattungen, also aus verschiedenen Textsorten, die aneinander gehängt wurden:
Zunächst (V. 5-9) haben wir eine Heilungsgeschichte (das war einfach, gell!),
im Anschluss daran (V. 10-13) finden wir ein Verhör, in dem es um ein übertretenes Sabbat-Verbot, geht. Mit diesem Hinweis aber gehört das Verhör zur Gattung der Streitgespräche, wie man sie häufig in den synoptischen Evangelien (wir erinnern uns: Markus, Matthäus und Lukas) findet.
Die Verse 17-19 stellen – wie schon gesagt – dann die Einleitung eines Monologs dar.
Und auch jetzt gilt wieder:
Diese Feststellung an sich ist bereits ganz nett.– Wer weiß? Vielleicht gibt es ja eine Gelegenheit das mal zu erwähnen, beim ersten Date oder im Vorstellungsgespräch oder so – tatsächlich aber kann man mit dieser Feststellung noch weiterarbeiten:
Wenn nämlich ein Text aus mehreren Gattungen besteht, dann folgert der Theologe: „Wahrscheinlich ist dieser Text nicht in einem Fluss entstanden, sprich: nicht durchgängig von ein und derselben Person verfasst worden.“
Für unseren Text bestätigt sich diese Annahme durch weitere Beobachtungen, wie z.B. die Folgende: Normalerweise gehören Zeitangaben in die Einleitung einer Erzählung d.h. in unserem Fall in die V. 1-3. Wenn wir aber hinschauen, stellen wir fest:
Die Zeitangabe gibt es erst in V. 9 und da klappt sie irgendwie ganz seltsam nach:
„Es war aber an dem Tag Sabbat.“
Das aber führt zu der These:
Die Heilungsgeschichte war ursprünglich einmal selbständig, d.h. sie ist ein ganze Zeit lang alleine mündlich erzählt worden. Erst später wurde sie verschriftlicht und dabei zu der großen Geschichte ausgebaut, die wir heute vorliegen haben.
Klingt schon einleuchtend, oder?
Entstehung
Die genauere Entstehungsgeschichte unseres Textes könnte (muss nicht, aber könnte) wie folgt aussehen:
In Joh. 5, 2-9c (= in allem vor der Nachklapp-Zeitangabe) spiegelt sich die ursprünglich mündliche Überlieferung von der Heilung am See Betesda wieder.
Diese mündliche Version stammte aller Wahrscheinlichkeit nach aus Jerusalem selbst.
Irgendwann wurde sie dann verschriftlicht und zwar in der sog. „Zeichenquelle“ (Man nimmt an: das war eine Textsammlung, in der letztendlich alle sieben Zeichen, die im Johannes-Evangelium auftauchen, festgehalten waren). Aber die (unbekannten) Autoren der Zeichenquelle haben nicht nur einfach aufgeschrieben, was sie gehört haben. Oh nein! Sie haben auch kräftig ergänzt (,wenn sie eh schon mal dabei waren): Unsere Geschichte von der Heilung des Gelähmten z.B. haben sie um die Sabbat-Konflikt- Geschichte (V9d (= der Anbindungsvers) – 16) erweitert. Die Frage nach den Sabbatgeboten lagen den Autoren wohl besonders am Herzen, weil sie sich stark mit der Synagoge in Jerusalem verbunden fühlten.
Der Verfasser des Johannes-Evangeliums dann ergänzte V. 1 – Klar, die Heilungs-Sabbat-Konflikt-Geschichte musste ja irgendwie mit seinem bisherigen Evangeliumstext verbunden werden.
Weiterhin ging er den gesamten Text durch und bezeichnete die Gegner Jesu (egal, wie sie vorher hießen) als „Juden (hoi ioudaioi)“.
Diese Bezeichnung ist typisch für das Johannes-Evangelium.
Sie meint nicht alle Judäer, sondern (lediglich) die jüdischen Autoritäten, sprich: Hohepriester und Schriftgelehrte. Sie werden im Evangelium von Anfang an (schon in Joh. 1,19-28) als Feinde Jesu etabliert. In unserem Text aber nimmt diese Feindschaft richtig „Fahrt auf“, dann „die Ioudaioi“ verfolgen Jesus (V. 16) und trachten danach ihn zu töten (V. 18). So beschreibt es zumindest der Evangelist … Ob das politisch korrekt war, ist eine ganz andere Frage.
Fest steht aber:
Die größte Ergänzung, die der Verfasser des Evangeliums vornimmt, sind die V. 17-18.
In ihnen findet sich sein Ausage-Interesse, seine Auslegung der vorangegangenen Geschichte.
Und zunächst einmal wendet sich diese Auslegung der (aus der Zeichenquelle übernommenen) Sabbat-Problematik zu: In V. 17 lässt der Evangelist Jesus sagen:
„Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag und ich wirke auch.“, was soviel heißen soll wie:
Gott und der Logos, Jesus, wirken bis jetzt, ununterbrochen und ihr Schöpfungswerk ist an kein Zeitmaß – nicht einmal an das heilige Zeitmaß des Sabbats – gebunden.
Auf den Punkt gebracht sagt Jesus also: „Ich und mein Vater, wir steh`n da drüber Jungs, heult ihr nicht rum!“ …
Deutungsvorschlag
… Tja … allerdings bleibt an dieser Stelle noch offen, wie die Wirkung des Logos eigentlich genau aussieht. – Eine interessante Frage, die aber erst später … Sie ahnen es bereits …. im Auslegungsmonolog eine Antwort bekommt:
In Joh. 5, 21 heißt es: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will.“
Hinter dieser Aussage steckt eine tiefe (Herzens)- Überzeugung des sog. Evangelisten Johannes. Und diese Überzeugung heißt (in etwas mehr Worten formuliert): Wer glaubt … oder richtiger:
Wer sich dem Glauben öffnet …
oder noch richtiger: Wer sich der Glauben-schaffenden Wirkung des Logos öffnet, sprich:
Wer sich für den Logos als Bringer des Lebens entscheidet (schöne Grüße vom Prolog), der wird vom Sohn/vom Logos aufgerichtet … ach, was sag ich: der ersteht auf … im Sinne von:
der erhält schon im Hier und Jetzt … ja, das für den Verfasser des Johannes-Evangeliums entscheidend… schon im Hier und Jetzt Anteil am ewigen Leben, also am wahren Leben, am lebendigen Leben, am Leben im Licht (um noch einmal den Prolog zu bemühen.).
Schauen wir aber mit dieser Erkenntnis im Rücken … oder im Gedächtnis … oder wo auch immer Sie Ihre Erkenntnisse verstauen …. schauen wir zurück auf die Heilungsgeschichte, dann kann man sagen: Die Heilungsgeschichte macht anschaulich, was V. 21 (abstrakt) benennt.
Passen sie auf, das klappt!
Der Sohn macht lebendig, welche er will (V. 21): Jesus wählt aus einer großen Anzahl Kranker einen ganz bestimmten Menschen aus und lässt ihn gesund wieder aufstehen. (V5-8)
Damit aber steht das Aufstehen in V.8 für das Auf(er)stehen der ganz anderen, der tieferen Art, die in V. 21 gemeint ist. … Sie wissen schon: Anteil am ewigen Leben … Leben im Licht … Gottes Kindschaft und so weiter …
Das aber heißt auf den Punkt gebracht:
Für den Verfasser des Johannes-Evangeliums ist die Genesung und Auf(er)stehung des Gelähmten (V.8) ein Symbol … oder ein Zeichen! … für die Auferstehung, die der Logos uns allen anbietet, wenn wir offen für ihn sind, d.h. wenn wir ihn in uns Glauben wirken lassen.
Damit aber, meine hochverehrten Damen und Herren, wissen wir jetzt eigentlich schon, warum im die Wunder im Johannes-Evangelium „Zeichen (griech: semeion)“ heißen, oder? – Ja? Nein? Vielleicht? Na gut! Nur zur Sicherheit und aus Service-Gründen schreibe ich es noch mal auf:
Die Wunder heißen im Joahnes-Evangelium „Zeichen“, weil sie – wie Symbole – über sich selbst hinausweisen.
Sprich:
Es geht nicht nur … oder: nicht vor allem … um das, was in der Wundertat selbst geschieht.
Vielmehr geht es um das, was in der Wundertat gezeigt oder symbolisiert wird:
Jede Wundertat symbolisiert… oder weist hin auf … den Logos und seine lebens-schenkende Kraft!
Sie wissen schon:
Anteil am ewigen Leben … Leben im Licht … Gottes Kindschaft und so weiter …
Das aber wiederum heißt:
Die Zeichen haben im Johannes-Evangelium nicht nur Bedeutung als (einmalige, vergangene) Geschehnisse in der Geschichte, sondern sie haben eine bleibende Bedeutung für alle Menschen, auch für uns hier und heute, denn:
Immer wenn ein Mensch mit einem Zeichen in Berührung kommt – also in unserem Fall: wenn wir von ihm lesen oder hören – werden wir auf den Logos Jesus Christus verwiesen und sind aufgefordert, uns zu ihm zu positionieren.
Diese Aufforderung zur Positionierung aber kann der Verstehens-Schlüssel werden für den sperrigen V. 14 „unserer“ Heilungsgeschichte.
In diesem Vers begegnet Jesus dem geheilten Gelähmten noch einmal im Tempel und er sagt zu ihm: „Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmere widerfahre.“
Wortwörtlich betrachtet, finde ich diesen Vers wirklich schwierig, denn er sagt aus: (Körperliches) Leiden ist die Folge … oder genauer: die Strafe für sündiges Verhalten.
Dies war eine populäre frühjüdische Volksmeinung und die Verfasser der Zeichenquelle haben sie offensichtlich vertreten.
Doch nicht nur damals, sondern auch heute noch kommt es vor, dass Menschen in dieses Erklärungsmuster zurückrutschen und deshalb möchte ich hier noch einmal ganz deutlich festhalten: Körperliches Leiden, Krankheit und Behinderung sind keine Strafe für begangene Sünden, davon bin ich felsenfest überzeugt …
… und der Verfasser des Johannes-Evangeliums stimmt mir zu:
In Joh. 9 erzählt er davon, wie Jesus einen Blindgeborenen heilt.
Am Anfang der Erzählung fragen die Jünger mit Blick auf den Blinden: Wer „hat sündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“
Der Jesus des Johannes-Evangeliums aber antwortet:„Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm!“ …
… das klingt doch schon mal viel besser, oder? – Sag ich doch!
Die Frage die aber bleibt ist:
Wie legt der Verfasser des Johannes-Evangeliums dann Joh. 5, 14 für sich aus? (Ich meine, er muss den Vers irgendwie interpretiert haben, schließlich ist er Teil seines Textes.)
Eine Antwort kann wie folgt aussehen:
Der sog. Evangelist Johannes sieht keine direkte Verbindung zwischen Krankheit und Sünde.
(Das hatten wir schon.)
Im Umkehrschluss aber wird er auch nicht davon ausgehen, dass Heilung von Krankheit (bei aller Zeichenkraft, die sie hat) automatisch eine heile Gottesbeziehung (=Sündenvergebung) beim Geheilten bewirkt.
Stattdessen gilt wohl eher Folgendes:
Die Heilung ist auch für den Geheilten ein Zeichen (nicht mehr und nicht weniger): Es verweist auf Jesus Christus als den Logos und verlangt vom Geheilten eine Positionierung.
Genau diese Forderung aber kann man – zumindest, wenn man möchte – in V. 14 finden:
„Siehe, du bist gesund geworden (= siehe, du hast ein eindeutiges, anschauliches Zeichen erhalten); sündige hinfort nicht mehr, (= verschließe dich nicht vor dem Aufruf des Logos, der dir wahres, heiles, ewiges Leben schenken möchte) dass dir nicht etwas Schlimmere widerfahre (= dass du nicht dem ewigen Tod, dem ewigen Verderben, der Finsternis anheim fällst. – Sie merken: „ewiger Tod“ ewiges Verderben“, das ist eine ganze andere Kategorie; ne ganz andre Nummer als (im Vergleich dazu „nur“) körperliche Krankheit).“
Am Ende also steht:
Der Geheilte soll sich zu Jesus Christus positionieren und vielleicht sehen wir ihn das auch noch tun, in V. 15, wo er den „Ioudaioi“ erzählt, dass ihn Jesus geheilt habe.
Es gibt Theologen, die diese Aussage als Bekenntnis werten, allerdings hat sie dafür (eigentlich) nicht die richtig Form.
Andere sehen in dieser Tat Naivität, nach dem Motto: Der Geheilte ist gefragt worden, wer ihn geheilt hat, jetzt weiß er es, also beantwortet er die Frage.
Die dritte Alternative ist, Denunziation: Der Geheilte zeigt Jesus – aus Angst vor dem Druck der Behörden – an.
Sollte letztes der Fall sein, gilt:
Über das Nicht-Zustande-kommen einer wirklichen Beziehung zwischen dem Logos und dem Geheilten, waltet das Gericht, das Thema im anschließenden Monolog ist. …
… Ähm … ok … eigentlich sollte diese Auslegung jetzt hier zu Ende sein, aber wenn es im letzten Satz um Gericht geht, dann ist das doch wenig erhebend, finde ich!
Also braucht diese Auslegung noch einen Satz – und hier kommt er:
Das Schöne ist, selbst wenn der Geheilte sich in diesem Moment gegen Jesus entschieden haben sollte, können wir es immer noch besser machen (siehe: Langzeit-Bedeutung der Zeichen):
Wir können uns für Jesus entscheiden und dann geht die Geschichte gut aus. …
Das wäre doch n` Plan, oder?
Die Zeichen im Johannes-Evangelium – Ein Überblick:
Und während wir darüber nachdenken gehen wir noch einmal (ganz kurz) in die Vogel-Überblicks-Perspektive und sehen:
Insgesamt werden im Johannes-Evangelium sieben Wundertaten als Zeichen Jesu benannt und erzählt.
Und diese sieben Zeichen sind:
Joh. 2, 1-11: Das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana
Joh. 4, 46-54: Die Fernheilung des Sohnes eines königlichen Beamten
Joh. 5, 1-18: Moment, das ist mir jetzt kurz entfallen … ach so ja! Die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda.
Joh. 6, 1-15: Die Speißung der Fünftausend
Joh. 6, 16-21: Seewandel Jesu mit Rettungswunder
Joh. 9, 1-41: Die Heilung eines Blindgeborenen
Joh. 11, 1-44: Die Auferweckung des Lazarus
Schaut man diese Auflistung genauer an, fällt eine Sache sofort ins Auge:
Die sieben Zeichen stehen auf relativ engem (biblischen) Raum; man findet sie alle in Joh. 2-12., also im ersten Hauptteil des Evangeliums, in dem sich Jesus der Welt offenbart.
Und bei allem, was wir mittlerweile über die Funktionsweise von Zeichen wissen – wir erinnern uns: sie weisen immer über sich hinaus; weisen hin auf Jesus Christus, den Logos, und das wahre, ewige Leben, das er uns schenken möchte – bei allem dem, kann man nur sagen: „Das passt!“
Und darüber hinaus gilt: Wenn in einem ganzen Evangelium nur sieben Wunder ausformuliert werden, dann kommt jedem einzelnen von ihnen exemplarische Bedeutung zu. … Also vielleicht braucht es gar nicht mehr als sieben Zeichen, wobei:
Neben diesen sieben ausformulierten Zeichen gibt es im Johannes-Evangelium immer wieder sog. „Sammelnotizen“, also Bemerkungen nach dem Motto: „Übrigen, Leute damit da kein falscher Eindruck entsteht, Jesus hat noch viele andere Wunder getan“… aber die werden eben nicht genauer erzählt.
… Apropos „nicht erzählt“, was wirklich noch ins Auge sticht ist:
Im Johannes-Evangelium gibt es kein einziges Dämonen-Austreibungs-Wunder … und das obwohl sie in den Synoptikern (wie erinnern uns: Markus, Matthäus und Lukas) zentral sind. – Eine Beobachtung, die unweigerlich zu einer Frage führt nämlich: „Warum?“
Nun, zunächst einmal, entscheidet sich der Verfasser des Johannes-Evangeliums wohl bewusst gegen die Aufnahme von Dämonenaustreibungen.
Erstens nämlich, hält er den Kampf gegen Dämonen schlichtweg nicht für entscheidend.
Nein, damit gibt er sich erst gar nicht ab!
Er interessiert sich für Jesu Kampf gegen den Satan (Also: wenn schon, dann richtig).
Um diesen Kampf in seinem Evangelium zu schildern, greift er auf die mythologische Vorstellung eines satanischen Herrschers dieser Welt (z.B. Joh. 12, 31) zurück, der als Widersacher Gottes auftritt und vielleicht …
… vielleicht sieht der Evangelist in Jesu „Erhöhung am Kreuz“ den finalen Sieg über diesen Widersacher. Man könnte das zumindest so sehen …
Fest steht aber in jedem Fall:
Der Evangelist hat noch einen anderen Grund, Dämonen und deren Austreibung, aus seinem Evangelium herauszuhalten und er liegt in seiner Anthropologie, also in seinem Menschenbild (,das wir übrigens schon längst kennen. Meine Güte wären wir fleißig! Ich schreibe es aber trotzdem noch einmal auf:) Der Verfasser des Evangeliums beschreibt Menschen in der Entscheidungssituation für oder gegen Jesus als den Bringer des wahren Lebens.
Dämonen aber setzen den eigenen Willen der Menschen außer Gefecht, d.h. ein von Dämonen besessener Mensch ist nicht mehr der Lage, Entscheidungen zu treffen … also überhaupt keine … und schon gar nicht die eine ganz Zentrale … deshalb also lieber keine Dämonen!
Wunder gehen ja auch ohne!
Literaturhinweis:
Dieser Text ist entstanden unter der Heranziehung von:
Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen, Band 1, die Wunder Jesu, Herausgegeben von Ruben Zimmermann, in Zusammenarbeit mit Detlev Dormeyer, Judith Hartenstein, Christian Münch, Enno Edzard Popkes, Uta Poplutz, Redaktion: Susanne Luther und Jörg Röder, 1. Auflage, Gütersloher Verlagshaus, 2013
Liebe Frau Pfarrerin Mundinar,
Vielen herzlichen Dank fuer Ihren neuen Blog Eintrag hier. Ich finde den Bericht von Joh 5.1 -30 eigentlich ganz schluessig und eines einzelnen Autorens wuerdig. Mit den allermeisten Theologen stimme ich Ihnen natuerlich zu, dass es sich bei Joh 5.3b-4 – die Engel ueber den Wassern des Sees Bethesda – um einen spaeteren Einschub in das Evangelium handelt. Wow, welch Konzession von mir, moegen Sie denken *smile.
Die Auswahl des Kranken durch Jesus zeigt, dass Er hier keine Triage vornimmt, sondern eine Person findet, die Er heilen wird. Dass dies ausgerechnet am Sabbath geschieht, ist natuerlich ein Anlass zur Aergernis – aehnlich des Ehrenraufens der Juenger in einem anderen Evangelium an diesem Wochentag.
Die Generalappellation „die Juden“ ist sicher problematisch. Fuer mich persoenlich insbesondere so, weil Jesus ja noch in Joh 4.22 gesagt hatte, „denn das Heil kommt von den Juden“!
Ehrlich gesagt verstehe ich schon „die Juden“ die sich ueber den Anspruch Jesu in Joh 5.18 aergern, „weil er … auch sagte Gott sei sein Vater, und machte sich dadurch Gott gleich.“ Stelle man sich vor, heute erscheint in der Schoenbornstrasse einer dieser Prediger und behauptet, er sei Gottes juengster Sohn! Man wird ihn nicht toeten wollen – so hoffe ich, aber mit grosser Befremdnis und Ablehnung begegnen. Diesen Konflikt hat Papst Benedikt XVI in seiner Jesus-Biographie in seinem Gespraech mit einem juedischen Rabbiner wiedergegeben, der Jesus eben aus diesem Grund nicht als Gottes Sohn anerkennen kann.
Vielleicht genau um diesem Kritikpunkt zu begegnen, kommt dann im folgenden Monolog Jesu Betonung seiner Position als Gottes Sohn. Darauf folgt wieder die Anspielung auf das, was in der spaeteren christlichen Tradition das Juengste Gericht genannt wird. Wie schon in Joh 3.17-19.
Schlussendlich steht die Versprechung der Auferstehung. Interessant ist hier, dass das klassische Judentum gar keine Auferstehung kennt. Die Seele des Menschen, Nefesh, kommt aus Staub und wird wieder zu Staub zerfallen. Es war erst der Kontakt mit den griechischen Neoplatonikern, die diese Idee in das Judentum transferierte, wo es sich zu Jesu Zeiten etabliert hatte. „Panta rei“ – alles fliesst, auch im Glauben.
Da wuensche ich mir, dass Ihre Gedanken auch viele andere Lesenden inspirieren, einen Kommentar zu hinterlassen, um es einen guten Dialog werden zu lassen. Gedankenstoff ist ja reichlich dazu vorhanden!
Gottes Segen,
Ihr Reinhart Lutz
Liebe Eva,
herzlichen Dank für die erneut sehr interessanten weiteren Einblicke.
Besonders unterstreichen möchte ich Deine Aussage:
„…deshalb möchte ich hier noch einmal ganz deutlich festhalten:
Körperliches Leiden, Krankheit und Behinderung sind keine Strafe für begangene Sünden, davon bin ich felsenfest überzeugt …“
Diese Deine Überzeugung teile ich aus tiefstem Herzen.
Als Physiotherapeutin ist mir dieser vermeintlich biblische Zusammenhang viel zu oft begegnet oder besser gesagt, mir sind Menschen als meine Patienten begegnet, die dieser unsäglichen Schuldzuweisung ausgesetzt waren.
Jedes einzelne Mal entsetzlich belastend für diejenigen, selbst wenn sie darüberstanden und es für sie klar keinen Zusammenhang gab.
Die Unterstellung, dass man die Krankeit „schon verdient“ habe, weil man selbst sicher gesündigt habe, ist leider noch viel zu weit verbreitet und richtet seelische Pein an.
Von Herzen Dank für diese leider immer noch notwendige Klarstellung.
Liebe Blog GestalterInnen und Blog LeserInnen bleiben Sie auf all Ihren Wegen und zu jeder Zeit gesegnet und behütet.
Herzliche Grüße
Claudia Kluge
Liebe Claudia Kluge,
Ihre beiden neuesten Beiträge habe ich wieder mit grosser Freude und grossem Interesse gelesen. So schön, dass Sie hier dabei sind!
In der Tat herrscht auch im klassischen Buddhismus die Lehrmeinung, dass körperliche Gebrechen und Krankheiten eine Strafe für schlechtes Karma in der vergangenen Inkarnation darstellen. Doch diese Einstellung verändert sich, wie hoffentlich auch bei uns.
Im Johannesevangelium geht es weiter: Jesus heilt nach dem Gelähmten viele weitere Menschen, „darum dass sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.“ Joh 6.2
Später, wie wir in unserer täglichen angeleiteten Lesung erfahren rechtfertigt er seine Heilung am Sabbath, wenn er auf die entsprechenden Tätigkeiten des Mohel, des jüdischen Beschneiders, aufmerksam macht: „und ihr beschneidet den Menschen auch am Sabbath.“ Joh 7.22b. Da wird offenbar böswillig mit zweierlei Mass gemessen.
Wie es der Zufall – oder die Fügung? – will, las ich letzte Woche die Kurzgeschichte „Spirit Calling,“ oder „Rückruf an die Seele“ der taiwanesischen Autorin Jo-Hsi Chen – Pseudonym von Hsiu-mei Chen, in „New Voices“ von Nancy Ing, 2d ed. (1980)
Aus der Perspektive seiner Schwester wird berichtet, wie die Eltern des schwerkranken Sohns einen daoistischen Priester engagieren, um ein kompliziertes spirituelles traditionelles Heilungsritual durchzuführen: die Seele des Bruders wird angerufen, seinen Körper wieder mit gesundem Leben zu erfüllen.
Das Ritual wird genau beschrieben. Doch das Ende der Geschichte ist grausam: der Onkel kommt auf dem Fahrrad von der Klinik in Taipeh zurück und berichtet, dass der Bruder/Sohn auf dem Operationstisch verblutet ist.
Gesundbeten, Handauflegen ist auch im gegenwärtigen deutschen Kirchengebrauch nicht mehr üblich. Doch mein leider viel zu früh verstorbener ehemaliger südafrikanisch- burischer Kollege berichtete mir, dass spiritueller Beistand bei manchen Kranken zur Genesung irgedwie beitragen konnte.
So wünsche ich Ihnen, den Pfarrerskollegium und allen Lesenden eine gesegnete Nacht.
Ihr
Reinhart Lutz
Hallo Claudia,
auch teile Deine Meinung, dass dies keine Strafen unseres gütigen Gottes sind.
Grüße
Marcel
Liebes Pfarrerkollegium, liebe Frau Kluge, liebe Lesenende des Blogs – schreibt doch auch ihr Letzteren einen Kommentar, damit unsere Diskussion an Vitalität zunimmt. Lasst euch bitte nicht von theologischen Fragen abschrecken und schreibt einfach kurz, was euch die täglichen Lesungen und wertvollen Kommentare von – in alphabetischer Reihenfolge! – Pfarrer Körners und Pfarrerin Mundinars so sagen. Die Beiden haben sich so viel Mühe gegeben – lasst uns die mit unseren Beiträgen hier honorieren.
Die täglichen Lesungen haben mich inspiriert daran zu denken, wie viele der ersten Zeichen auf die physischen menschlichen Grundbedürfnisse eingehen: Wein, Gesundheit, Brot und Fische.
Die Speisung der 5.000 und die Seewandlung Jesu sind euch vielleicht wie für mich aus dem Kindergottesdienst bekannt, da sie so bekannte populäre Erzählungen sind! Inzwischen sehe ich die Speisung wie eine Art Woodstock Festival 1969 als Begeisterte physische Hemmnisse – Regen bei Woodstock, fehlendes Essen im Evangelium – überkamen. Und wie die aufgehetzte Meute am Karfreitag schrie, „Kreuzige ihn!“ folgte auf Woodstock das Altamont Massaker.
Nun zieht Jesus in unseren Tageslesungen weiter und spricht zu seinen Jüngern in Joh 6.29 – 65 über sein künftiges Schicksal. Das erinnert nun stark an seine Abendmahlsrede wenn er sagt „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben“ Joh 6.54.
Mir ist vollständig bewusst dass viele zeitgenössische Theolog*innen dies als einen nachösterlichen Einschub in dem Johannesevangelium sehen, dass nach Udo Schnelle u.a. nicht vom Jünger verfasst worden sein soll. Wie auch der Hymnus im Prolog eigentlich viel zu lange für eine Doxologie ist.
Aber mein katholischer Freund Sandro hat mich informiert, dass – gerade in der katholischen Lehre – Gott und Jesus nicht wie wir chronologisch durch die Zeit gehen, sondern diachronisch über der Zeit stehen. Das lässt sich sogar mit Einstein’s Relativitätstheorie verbinden! So sprach Jesus hier in Seinen von dem Evangelisten überlieferten Worten von den Dingen, die werden würden.
Natürlich muss es hart für die Jünger gewesen sein hören zu müssen, „euer einer ist ein Teufel.“ Joh 6.70b. Wie Frau Pfarrerin Mundinar in ihrer Predigt kann auch ich hier nicht Jörg Zink folgen, der Judas Ischariot als „Heiligen“ bezeichnete. Das erscheint mir persönlich zu verwirrt.
Nun steht also in unseren Tageslesungen das Laubhüttenfest an. Jesu Brüder wollen dass er offen nach Jerusalem geht, damit „auch Deine Jünger sehen die Werke, die du tust.“ Joh 7.3b.
Für mich persönlich – und da weiche ich ganz entschieden von der Lehrmeinung der „Brüder im Geiste“ ab! – sind das Jesu leibliche Brüder die von Maria und Josef „auf normakem Weg“ nach ihm geboren wurden. Warum sonst die Unterscheidung von Brüdern und Jüngern? Klar, man kann von verschiedenen Zirkel der Nähe sprechen – doch für mich sind es echte Brüder. Vor allem, weil sich ja nach Joh 6.66 „seiner Jünger viele sich“ abgewandt hatten, bis nur 12 – und darunter der Teufel! – geblieben waren. Doch seine Brüder waren alle da.
Jesus geht incognito in den Tempel in Jerusalem. Für die jüdischchristlichen Lesenden des Evangeliums, auch wenn es, wie ich persönlich glaube, schon von dem alten Jünger um 90 AD geschrieben wurde, muss dies bitter melancholische Erinnerungen geweckt haben, da Titus den Tempel 70 AD zerstören liess – und da war kein Christus, der ihn schon jetzt in 3 Tagen wieder aufgebaut hätte können.
Jesus predigt. Und nun kommt für mich eine ganz heikle Stelle im Evangelium!!
Das Volk fragt sich:“Soll der Christus aus Galiläa kommen?
Spricht nicht die Schrift: von dem Geschlecht Davids und aus dem Ort Bethlehem, wo David war, solle der Christus kommen?“ Joh 7.41-42.
Wow!
Warum weisst niemand seiner Brüder oder Jünger, wenn Jesus selbst schon wie gegenüber Kaiphas und Pontius Pilatus so wortkarg gewesen war, auf eben diese Geburt in Bethlehem hin??
Zyniker mögen erwidern, dass eben alle Beteiligten wussten, dass Jesus halt in Nazareth geboren war. Die Weihnachtsgeschichten im Lukas und Mattäusevangelium wären dann – grosser Schock!! – nachösterliche Erfindungen und damit – sorry!! – eine der grössten Fake News der Geschichte.
Dann wären dies eben nur „kluge Fabeln“ im Sinne von 2 Pet 1.16, dessen Autoren selbst viele zeitgenössische Theolog*innen für einen Pseudepigraphen, also einem vorgegebenen Autoren unter falscher Flagge, halten. Können, wollen wir als Christenmenschen soweit gehen? Dann wird Gott in der Tat zu Gandalf.
Dieser harten Frage ausweichend wollte Rudolf Bultmann die daraus resultierende Frage nach dem historischen Jesus verbieten. Aber wenn die historische Wahrheit nicht stimmen sollte stünde unser christlicher Glaube auf tönernen Füssen.
So wie Jung Chan durch historische Recherche mit Augenzeug*innen bewiesen hat, dass sich Mao Zedong auf seinem „langen Marsch“ nach Yanan grundsätzlich in einer Sänfte tragen liess.
Abschliessend konzediere ich der zeitgenössischen, auf historische Manuskripte begründeten Lehrmeinung, dass es sich bei der ebenso bekannten Geschichte der Ehebrecherin – „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ Joh 8.7 – leider um einen nachträglichen Eintrag im Evangelium handelt. Ich glaube ab die Wahrheit der Begebenheit – aber ein Anderer als der Jünger hat sie halt später seinem verehrten Text hinzugefügt bevor er in seiner Form kanonisch wurde.
So viele Gedanken – Danke dem Pfarrerskollegium für dieses Projekt für unsere Fastenzeit.
Gottes Segen für euch alle Lesenden,
Euer Reinhart Lutz
P.S.: Schreibt dazu!